Das eine Weihnachten
Eine Weihnachtsgeschichte von Viktoria Henniges
Liebe Leserinnen und Leser,
es ist wieder soweit: der Dezember ist schon ein ganzes Stück fortgeschritten und wir nähern uns den festlichen Weihnachtstagen. „Schon wieder, jedes Jahr das gleiche!“, mag der Weihnachtsmuffel vor sich hin grummeln, aber ich wäre mir da gar nicht so sicher. Letztens hatte ich im Wald eine kleine Weihnachtsbegegnung, die mich ein wenig ins Grübeln brachte:
Winterlich pfiff mir der Wind um die Ohren, die ich schon unter einer großen Bommelmütze verbarg, als ich in den Wald ging. Die Bäume hatte das Jahr kahlgeschoren, aber sie wirkten anmutig wie sie in ihrer ganzen Statur vor mir standen und nichts ihre großen Körper verbarg. Ich schlenderte einen Weg entlang, setzte einen Fuß vor den anderen und hörte ab und an eine dünne Eisschicht unter meinen Füßen knirschen. Trotz dicker Jacke war es furchtbar kalt, die Nase war mir schon ein wenig rot geworden, die Hände ein wenig steif. Da führte mich der Weg an einer Stelle vorbei, die meine Schritte langsamer werden lies und mich schließlich zum Stehen brachte. Gestern noch hatte hier eine Reihe von Tannenbäumen gestanden, die jetzt mit einem Mal verschwunden waren. Ich näherte mich den Stümpfen, die da aus dem Boden herausragten und schüttelte verdutzt den Kopf. Tag für Tag hatten diese Tannen hier am Wegesrand gestanden, die Nadeln umspielt von eben jenem Wind, der mir so gnadenlos in den Jackenkragen fuhr. Jetzt hatten sie es warm, das wusste ich. Jetzt waren sie irgendwo in gemütlichen Wohnstuben und waren der Blickfang jedes Hereinkommenden. Kein Lüftchen umspielte mehr die grünen Zweige, sondern glänzende Kugeln in allen Farben, die beinahe so aussahen, als hätten sie schon immer dort gehangen.
Auf dem Stumpf vor mir zeichneten sich ganz deutlich die Jahresringe ab, die mich für eine Sekunde wie eine hypnotische Spirale in ihren Bann zogen. So viele Jahre hier im Wald, so viele Jahre des Wartens. Das war das eine Weihnachtsfest dieser Bäume, das eine Mal, dass sie voller Glanz erstrahlten und irgendwo einer zusammengekommenen Familie Freude bescherten. Mit einem Mal führten sie ein ganz anderes Dasein, erlebten eine Verwandlung wie sie nur die Weihnachtszeit herbeibringen kann.
Sie sehen also, dass die, denen ich auf diesem Spaziergang begegnete, ein paar Bäume waren bzw. ein paar fehlende Bäume. Ein paar Tannen, die nicht mehr das waren, was sie bis gestern noch gewesen waren. Das ist die Art von Verwandlung, die ich uns allen für dieses Weihnachtsfest wünsche. Es ist nicht unser erstes Weihnachten, wie das dieser Bäume, die sicher noch niemals zuvor eine Christbaumkugel erblickten und denen auch noch nie ein fröhliches „Jingle Bells“ um die Äste fuhr. Hoffentlich ist es ebenso wenig unser letztes Weihnachtsfest, aber vielleicht kann es ja dennoch ein besonderes werden. Es könnte zum Beispiel das Weihnachten sein, an dem Sie Ihre Schwester so herzlich lachen sehen, dass sie gar nicht mehr aufhören kann. Es könnte auch das Weihnachten sein, an dem Sie zum ersten Mal alle gemeinsam das Weihnachtsessen zubereiten. Oder das, an dem Sie erkennen, wie wichtig es ist, Handy und Uhr auch mal beiseite zu legen, die Zeiger stehen zu lassen oder sich zumindest nicht um das Ticken zu scheren.
Was auch immer dieses Weihnachtsfest für Sie bringen mag, lassen Sie es zu einem werden, das noch schöner ist als das des letzten Jahres. Wir leben in Zeiten des Umbruchs, in der uns positive Veränderung umgibt, aber auch so viel negative, die dem Blick in die Zeitung manchmal ein Schlucken folgen lässt. Lassen Sie uns also die positive Veränderung vorantreiben, auch wenn wir es nur im kleinen Kreis tun, denn wenn Sie dieses Weihnachten wenigstens ein kleines Lächeln verschenken können, dann ist auch das schon ein Gewinn. So vielen liegt das Gefühl auf, zu wenig Kontrolle zu haben, wenn sich alles um einen zu drehen scheint. Deswegen ist es dieses Jahr Zeit, für einen selbst und gemeinsam mit Familie und Freunden für einen Moment zum Stillstand zu kommen und diesen Moment zu leben, wie es die Tannen aus dem Wald tun, die nur dieses eine Weihnachten haben. Stellen Sie sich also vor, es wäre auch Ihr eines Weihnachten. Was würden Sie tun? Was auch immer es ist, es ist ganz sicher genau das, was Sie in die Tat umsetzen sollten.








